Ehemalige Mitarbeiter: Facebook, Google und Snapchat „gefährlich“ für die Gesellschaft

Weiterempfehlen:

Ehemalige Mitarbeiter kritisieren in der Netflix-Dokumentation „Das Dilemma der sozialen Medien“ lautstark die Geschäftspraktiken von Facebook, Instagram, Snapchat, Tik-Tok, Twitter und Google. Sie werfen ihren ehemaligen Arbeitgebern vor, Nutzer über unterbewusste Techniken gezielt zu manipulieren.

Das Suchtpotenzial würde u.a. durch permanente Benachrichtigungen und Vorschläge gefördert, die eine maximale Nutzungsdauer zum Ziel haben, um mehr Werbeeinnahmen zu generieren, sagt u.a. Tristan Harris, ehemaliger Design-Ethiker bei Google. Nutzer wären das Produkt, weil die Werbung an diese verkauft wird.

Soziale Medien schaffen laut der Psychologin Shoshana Zuboff, Professorin an der Harvard Business School, die Illusion von menschlichen Kontakten und sprechen das Belohnungszentrum des Gehirns mit Likes und Herzen an, was das Suchtpotenzial für Nutzer stark erhöht. Intensiv-Nutzer würden ihre realen sozialen Kontakte vernachlässigen, um die eigene Sucht zu befriedigen. Google und Facebook wären die reichsten Unternehmen, die es je gegeben habe, weil sie die meisten Nutzerdaten weltweit besitzen.

Facebook Mitarbeiter: Algorithmus fördert Verschwörungstheorien

Der Informatiker Jaron Lanier, Gründervater der virtuellen Realität, meint, durch soziale Medien würde schleichend das Verhalten und die Identität der Nutzer verändert. Große Konzerne könnten Millionen Menschen auf diese Weise manipulieren. Dazu würde die Technik der „Persuasive Technology“ gelehrt und genutzt.

Justin Rosenstein, ehemaliger Entwickler bei Facebook und Google, wirft Facebook u.a. vor, der Algorithmus würde Verschwörungstheorien und die Spaltung der Gesellschaft fördern. Dies würde in Kauf genommen, um die Werbeeinnahmen zu maximieren. Als negatives Beispiel nannte er unter anderem die Verbreitung der „Pizzagate“-Theorie. Ausgewählten Facebook-Nutzern wurde teils eine Verschwörer-Gruppe empfohlen, die einer Pizzeria Menschenhandel unterstellte. Pro bestellter Pizza würde ein Mensch verkauft. Die Situation eskalierte, als ein Nutzer in den USA bewaffnet die Pizzeria stürmte, um herauszufinden, ob Menschen im Keller gefangengehalten würden. Menschenhandel fand nicht statt.

Justin Rosenstein kritisiert ebenfalls die Personalisierung von Suchergebnissen bei Google und das permanente Tracking. Jeder einzelne Schritt würde aufgezeichnet und so ein Bild von der Persönlichkeit des Nutzers geschaffen, um präzise Vorhersagemodelle es Verhaltens zu schaffen. Jeder Nutzer würde andere Suchergebnisse erhalten. Das schade dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, weil es keine allgemeingültigen Wahrheiten mehr gäbe. Wenn jeder seine eigene Realität und Wahrheit hätte, gefährde dies den sozialen Frieden. Gleiches könne man über den News-Feed von Google und Facebook sagen.

Sozialpsychologe: „Gigantische Zunahme von Depressionen und Angststörungen bei US-Teenagern“

Der Sozialpsychologe Jonathan Haidt, der an der NYU Stern School of Business lehrt, spricht von einer „gigantischen Zunahme von Depressionen und Angststörungen bei US-Teenagern“ seit 2010. Die Anzahl der Selbstverletzungen stieg seit 2010 stark an. Bei 15- bis 19-jährigen Mädchen stieg die Zahl der wegen Selbstverletzungen Hospitalisierten bis zum Jahr 2015 um 62 Prozent, bei den 10- bis 14-jährigen Mädchen sogar um 189 Prozent. Die Suizidraten sind zwischen 2010 bis 2018 bei 15- bis 19-jährigen Mädchen um 70 Prozent und um 151 Prozent bei 10- bis 14-jährigen Mädchen gestiegen. Er führt dies auf die Sozialisierung der Teenager mit sozialen Medien zurück, die seit 2009 auf dem Smartphone verfügbar sind. „Eine komplette Generation ist ängstlicher, zerbrechlicher und depressiver.“, sagt Haidt. Generation Z wäre weit weniger bereit, Risiken einzugehen, was u.a. an der sinkenden Zahl von Führerscheinabsolventen in den USA ablesbar wäre.

Tim Kendall, ehemaliges Vorstandmitglied bei Facebook und später Pinterest-Präsident, ist sich des Einflusses auf Nutzer bewusst: „Diese Dienste führen dazu, dass sich Menschen umbringen.“

Ein früherer Mitarbeiter warf Snapchat vor, über Foto-Filter das Schönheitsideal Jugendlicher negativ zu beeinflussen. Schönheits-OPs liegen bei jungen Mädchen im Trend. Die minderjährigen Mädchen wollten vermehrt Operationen machen, um ihren manipulierten Filter-Bildern eher zu entsprechen.

Strikte staatliche Regulierung gefordert

Die Interviewten fordern eine strikte staatliche Regulierung, um das Suchtpotenzial zu begrenzen und die potenziellen Gefahren für die Gesellschaft abzuwenden. Konzern-Chefs wie Mark Zuckerberg wären nicht willens, dies zu tun, da sie den Umsatz und Wert Ihrer Aktien steigern wollten. Der Informatiker Jaron Lanier, Gründervater der virtuellen Realität, wirbt für die Löschung aller Social Media-Accounts. Die Psychologin Shoshana Zuboff, Professorin an der Harvard Business School, fordert gar ein vollständiges Verbot von sozialen Medien, um weiteren Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.

Überraschend waren die Empfehlungen der ehemaligen Mitarbeiter für den Umgang mit sozialen Medien. Sie empfahlen, alle Benachrichtigungen auf dem Smartphone auszuschalten und zeitlich stark begrenzte Nutzungszeiten festzulegen. Dies gelte insbesondere für die Nutzung durch Kinder und Jugendliche. Ein Entwickler entschied sich gar für ein striktes Handyverbot bei den eigenen Kindern bis zur Vollendung ihres 16. Lebensjahrs, um die potenziell schädlichen Auswirkungen der sozialen Medien von ihnen fernzuhalten.

Lesen Sie auch:

Mehr Datenschutz für das Smartphone – Die Datenkraken Google und Facebook

Sind wir gläserne Menschen? 76 Prozent aller Apps auf dem Smartphone senden Nutzerdaten an Google. 24 Prozent aller Apps senden Tracking-Daten an Facebook. Das hat eine Analyse des Suchmaschinenanbieters DuckDuckGo ergeben.